Die Parabel von der Lüge und der Wahrheit
Es war ein heißer Sommertag, als nach getaner Arbeit die Wahrheit ein wenig spazieren ging. Plötzlich kam ihr die Lüge entgegen und rief: "Ach Wahrheit, komm lass uns Schwimmen gehen, heute war so ein arbeitsreicher und mühsamer Tag für uns Beide und gleich da vorne ist doch ein kühler Teich. Die Wahrheit zögerte ein wenig und murmelte leise vor sich hin: "Ja, wegen dir, du falscher Schlange, hatte ich heute mal wieder so viel Arbeit und bin deswegen völlig müde und schlapp. Aber vielleicht tut mir so ein kühles Bad ja ganz gut und macht mich wieder munter." Und so willigte die Wahrheit schließlich ein und ging mit der Lüge zu dem nahen Teich, der von alten, knorrigen Bäumen umrahmt war und viel Schatten bot. Beide legten sogleich ihre Kleider ab und spangen ins kühle Naß. Es war wahrlich eine genüßliche Abkühlung, als sie im Teich so umher schwammen. Doch nach kurzer Zeit hatte die Lüge kein Lust mehr und verließ den Teich. Verduzt guckte die Wahrheit ihr nach und schwamm noch eine geraume Zeit weiter, bevor sie gemächlich aus dem Wasser stieg. Jetzt bemerkte sie jedoch, dass ihre Kleider nicht mehr da waren. Sie lief das Ufer auf und ab und suchte hektisch danach. Just in dem Moment wurde sie von einer Schar von Menschen entdeckt. Der Anblick der nackten Wahrheit verstörte die Menschen so sehr, dass sie schreiend davon liefen. Die Wahrheit sprang ganz schnell zurück in den Teich. Frustriert stand stand sie so im Wasser und dachte: "Lüge, du perfides Miststück, du hast mir meiner Kleider gestohlen. Was mache ich denn jetzt nur?" Da ihr aber keine Idee kam und sie sich so schämte tauchte sie bis zum Grund des Teiches ab. Seither läuft die Lüge als Wahrheit verkleidet in der Welt umher und von der Wahrheit will niemand mehr etwas wissen.
Überlieferte Parabel aus dem 19.Jahrhundert